Wulf Aschenborn, der 1957 in Karlsruhe geboren wurde, kam früh nach Hannover und ist später in Düsseldorf aufgewachsen. Mit 15 Jahren, ab 1972, begann er sich künstlerisch zu betätigen. Seit 1991 hat er seine Bilder ausgestellt. Bis 2002 sind ausschließlich Arbeiten auf Papier entstanden, ab 2003 arbeitet er mit Ölfarbe auf Leinwand.
Es ist ungewöhnlich, dass ein ausgebildeter Kunsthistoriker gleichzeitig auch bildender Künstler ist. Es liegen nämlich zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen an die Kunst vor: der Kunsthistoriker ordnet die vorhandene Kunstschöpfungen nach kunsthistorischen Gesichtspunkten und beschäftigt sich mit den Faktoren der Entstehung der Kunstwerke und berücksichtigt dabei auch den jeweiligen Zeitgeist. Als Kunsthistoriker hat er in den letzten Jahren Ausstellungen eigenständig kuratiert, so bei der Deutschen Bundesbank in Düsseldorf und Führungen durch Ausstellungen im Folkwang Museum Essen und im Museum Kunstpalast Düsseldorf, zuletzt „El Greco und die Moderne“ durchgeführt.
Der Künstler Aschenborn arbeitet dagegen mitten im Strom seiner eigenen Zeit. Er will etwas völlig Neues, Eigenes schaffen, das seinen ästhetischen Ansprüchen genügt und außerdem zeitbezogen und einmalig ist. Es braucht also einen weiten geistigen Horizont, um sowohl das eine als auch das andere in sich zu vereinigen.
Sein Rüstzeug für die Malerei hat er sich selbst erarbeitet. Das ist wichtig zu erwähnen, weil er durch eine von ihm entwickelte Technik damit einen neuen, eigenständigen Weg in der Kunst unserer Zeit beschreitet.
Um das zu erklären, zunächst etwas Grundsätzliches. Es gibt uralte Strukturen der Wahrnehmung, die so alt sind wie die Menschheit. In der Frühzeit des Menschen, als er begann aufrecht zu gehen, lernte er blitzschnell zu entscheiden, ob das, was er da vor sich sah, eine Gefahr für ihn bedeutete oder ungefährlich war. War es bedrohlich, dann musste er fliehen, um sein Leben zu schützen.
Dieses unmittelbare Erfassen und schematische Einordnen funktioniert auch heute noch reibungslos, wenn wir etwas wahrnehmen. Beim Bekannten bleiben wir gelassen. Sehen wir etwas Unbekanntes, dann ordnet unser Gehirn reflexartig das Gesehene in fast allen Fällen einem bekannten Muster zu, das ähnlich ist. Durch diese Analogie (sieht aus wie...) finden wir meist eine Schublade, von der wir annehmen, dass das Gesehene dort hineinpasst und von der wir wissen, dass das darin Befindliche unschädlich ist.
Nur wenn wir, wie hier, auf neuartige Formen stoßen, reagieren wir – immer noch geleitet durch das uns in der Urzeit eingepflanzte Verhalten – sofort mit der Frage: woran erinnert uns das Dargestellte? Vielleicht an eine Formation innerhalb einer menschlichen Zelle, dem Nucleosomen. Aber damit haben die Bandformen auf dem Bild nichts zu tun. Und dann folgt fast automatisch die Frage: Was hat das zu bedeuten?
Wenn der Künstler uns sagt: mein Inhalt ist allein die Farbe und die Form, dann stehen wir an dem Punkt, wo wir uns fragen müssen: Was ist ein Bild?
Gottfried Boehm*1 weist auf das Bilderverbot im Alten Testament hin und erklärt an der Legende von Aaron und Moses die Abbildfunktion des Bildes. Während Moses auf dem Berg Sinai von Jahwe unter anderem das Gebot erhält: Du sollst Dir kein Bild von Gott machen, hat der im Tal verbliebene Bruder Aaron ein Goldenes Kalb anfertigen lassen, das die Juden verehren. Es wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die Verkörperung eines Gottes in einer Gestalt (oder einem Bild) von uns als reale Präsenz dieses Gottes angesehen wird. „Das Bild erzeugt eine Gleichheit mit dem Dargestellten… Bild und sein Inhalt verschmelzen bis zur Ununterscheidbarkeit.“
Jahwe verlangt demgegenüber von Moses: Du sollst Dir kein Bild machen, weil Gott mehr ist, unfassbar für unseren Verstand.
Aus dem Vergleich dieser beiden gegensätzlichen Positionen wird erkennbar, dass das Bild ein Abbild einer Realität ist. Allerdings gilt das uneingeschränkt nur bis zum Jahr 1910. In diesem Jahr hat Wassily Kandinsky das gegenstandslose Bild*2 in die moderne Kunst*3 eingeführt. Dieses „abstrakte“ Bild ist kein Abbild mehr, sondern eine in der Vorstellung gebildete, bisher nicht existente Farb- oder Schwarz-Weiß-Form, allgemein gesprochen eine geistige Leistung.*4 Von diesem Zeitpunkt an muss das Bild neu definiert werden. Im Begriff vom „autonomen Kunstwerk“ wird deutlich, dass das Bild nicht mehr die Funktion der Nachahmung erfüllen muss, dass es weder nützlich noch moralisch gut sein soll und dass es keinerlei gesellschaftlichen Einflüssen unterworfen ist. Das autonome Bild ist frei von konkreten Inhalten und von Bedeutungen. Daher kann man sagen, dass die Kunst selbstreferentiell geworden ist; sie weist auf nichts anderes hin, als auf sich selbst.
Betrachtet man Kunst unter diesen Prämissen, dann beruht das gegenstandslose Bild auf den beiden Kategorien: Form und Farbe. Fragt man nach dem Inhalt, dann kann man mit Susan Sontag sagen: Der Inhalt des Bildes ist die Farbe und die Form.*5
Bei der Betrachtung der Arbeiten von Aschenborn haben wir es mit einer puren Malerei zu tun und wir können uns – ohne fragen zu müssen, was das Gemalte auf der Bildfläche bedeutet – allein auf die Farbe und die Form einlassen, das heißt, das Bild wird nur unter ästhetischen Gesichtspunkten beurteilt, nach seiner farbigen Schönheit und formalen Stringenz.*6 Es ist die Unmittelbarkeit des sinnlichen Eindrucks, worauf es ankommt. Es geht um die visuelle Präsenz der Farbe. Die Farbe, verkörpert in der Form, spricht uns an. Es gibt keinen verborgenen Inhalt. Die Amerikaner – es ist ein Zitat von Frank Stella*7 – drücken das klar und prägnant aus: „What you see is what you see.“
Es kommt auf das „sehende Sehen“ an, wie Max Imdahl*8 das nannte. Wir sollten dasjenige erfassen und auf uns wirken lassen, was wir sehen, nicht, was wir hinter dem Bild an Inhaltlichem oder gar Existentiellem vermuten. Hinter dem Bild befindet sich die Wand.*9 Die Bedeutung des Bildes liegt ausschließlich innerhalb der Grenzen des Bildes.*10
Aschenborn hat ein Gespür für starke Farben. Das sind nicht nur reine Farben. Sie können auch gemischt sein. Es geht ihm um die Zelebrierung der Farbe.*11 Die Farbigkeit strebt einen Klang an. Das ist ähnlich wie in der Musik, wo durch den Klang eine bestimmte Stimmung erzeugt wird. Dieser Farbklang fluktuiert ständig – bedingt durch die in sich schlingenden Farbverläufe, die zum Teil durch andere Farbverläufe überlagert werden – so dass sich eine farb-melodische Atmosphäre, eine Musikalität, ergibt.
Er wendet eine neue Methode bei der Schaffung seiner Bilder an, die es so noch nicht gegeben hat. Der Künstler arbeitet mit Klebebändern, die er auf die Leinwand setzt. Anschließend übermalt er die gesamte Bildfläche einheitlich mit nur einer Farbe. Dort, wo sich das Klebeband befindet, wird die aufgetragene Farbe ausgespart. Nach dem Trocknen der Farbe werden weitere Klebestreifen auf das Bild aufgebracht und wieder mit einer Farbe übermalt. Wenn viele Farbschichten übereinander gelegt werden und alle einzelnen Schichten jeweils durch die nächstfolgende Farbe zugedeckt werden, dann braucht der Künstler ein starkes Erinnerungsvermögen und er muss über ein ausgeprägtes abstraktes Denken verfügen. Die einzelnen Schritte sind vorausgeplant und dabei muss die sich verändernde Form und die sich wandelnde Farbe stets auf das endgültige Bild hin mitgedacht werden.